Umgebung von Jerusalem

Am 28.10.2014 fuhren wir an die östliche Stadtgrenze von Jerusalem, um die außergewöhnliche geografische und politische Situation von Jerusalem besser verstehen zu können. Wir wurden dabei von Sergio Yahni vom AIC (Alternative Information Center) begleitet. Das AIC ist eine israelisch-palästinensische Organisation, die sich für Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt. Nach Ansicht des AIC kann es in diesem Gebiet nur unter der Bedingung Frieden geben, dass die israelische Besatzung beendet wird, die Palästinenser das Recht auf Selbstbestimmung erhalten und die Flüchtlinge in die Orte, aus denen sie vertrieben wurden, wieder zurückkehren können.

Wir fuhren zum Aussichtspunkt auf dem Scopusberg, von dem aus wir einen sehr guten Blick sowohl über die Stadt als auch über die Umgebung haben. Hier berichtet uns Sergio Yahni ausführlich von der jüdischen Besiedlung Israels sowie von der Geschichte des Zionismus und der Stadt Jerusalem. Schon während der Busfahrt durch das annektierte Ostjerusalem hatte uns Sergio darüber aufgeklärt, dass jedes Gebäude (auch öffentliche Gebäude wie die Universität) nach internationalem Recht als Siedlung auf besetztem Gebiet angesehen wird. Von der Grenze zwischen West- und Ostjerusalem, die es zwischen 1948 und 1967 gab, kann man heute nichts mehr erkennen. Die ehemals getrennten Stadtteile sind inzwischen zusammengewachsen, das scheint wenn man an Berlin denkt, eine erfreuliche Entwicklung zu sein. Wenn man aber bedenkt, dass die Stadt Jerusalem auch von den Palästinensern beansprucht wird, so erkennt man, dass hier Tatsachen geschaffen wurden, die einer einvernehmlichen Lösung in Zukunft im Wege stehen.

Über die Geschichte der Stadt erfahren wir, dass das alte Jerusalem schon immer eine Pilgerstadt für alle Religionen war. So gab es bis 1948 eine gemischte Bevölkerung aus Juden, Christen und Moslems. Die Geschichte des Zionismus begann bereits mit dem Basler Herzl-Kongress 1890 und führte in ihrer Konsequenz 1937 zu einem ersten Teilungsplan für Palästina, der von der Engländern (von der sog. Peel-oder Palästina Kommission) entworfen wurde.

Im Krieg von 1948 wurde Westjerusalem von Israel erobert. Zwischen West- und Ostjerusalem, das bis 1967 genauso wie das Westjordanland zu Jordanien gehörte, gab es eine Grenze aus Zäunen und Stacheldraht, die die Stadt in zwei Teile geteilt hat. Im Jahr 1967, nach dem Sechs-Tage-Krieg, wurde auch Ostjerusalem in das israelische Staatsgebiet einbezogen und ist inzwischen annektiert. Dieser Schritt ist von der internationalen Gemeinschaft allerdings nie anerkannt worden. Für Jerusalem war immer ein Sonderstatus vorgesehen, um eine gerechte Regelung zu finden, die die Interessen sowohl der Juden, der Christen als auch der Muslime berücksichtigt. Mit der Annektierung von Ostjerusalem erweiterte sich das Stadtgebiet Jerusalems von 6 km2 auf 70 km2, da auch 27 umliegende Dörfer in das Stadtgebiet mit einbezogen wurden. Auf dem eingemeindeten Land sollten möglichst rasch jüdische Siedlungen errichtet werden. Das Ziel war möglichst viel Land mit möglichst wenigen Palästinensern zu bekommen.

Die Mauer, die noch immer weiter gebaut wird, ist damit keine Trennung zwischen West- und Ostjerusalem, sondern sie trennt „Großjerusalem“ vom Westjordanland ab, so dass innerhalb der Mauer weitere jüdische Siedlungen errichtet werden konnten. Die sogenannte „Grüne Linie“ von 1967, die inzwischen auch von vielen Palästinensern akzeptiert werden würde, ist damit längst zur Makulatur geworden.

Sergio erzählte uns, dass auch er mit seiner Familie in eine Siedlung zugewandert ist. Als er 12 Jahre alt war, ist er mit seinen Eltern in den 1970er Jahren aus Argentinien vor der Militärdiktatur geflüchtet. Als die Familie in Israel ankam, wurde sie direkt vom Flughafen in eine Siedlung außerhalb der städtischen Zentren gebracht. Erst nach einem Jahr wurde ihm und seinen Eltern bewusst geworden, dass sie in einer Siedlung auf besetztem Gebiet wohnten. Erst später sind sie dann in eine Kibbuz umgezogen.

1980 hat das israelische Parlament das sogenannte „Jerusalem Gesetz“ verabschiedet, mit dem die gesamte Stadt den Status als Hauptstadt Israels erhielt (Da Jerusalem als Hauptstadt international nicht anerkannt ist, befinden sich alle ausländischen Botschaften und Konsulate in Tel Aviv). Die palästinensischen Einwohner von Jerusalem genießen in gewisser Weise bestimmte Privilegien, denn sie können die sogenannte Jerusalem ID beantragen. Sergio erklärt uns, dass die Bewohner mit diesem Dokument zu Einwohnern Israels werden, wodurch sie über größere Freizügigkeit und bessere Arbeitsmöglichkeiten sowohl in Israel selbst als auch in den besetzten Gebieten verfügen. Dennoch sind sie keineswegs gleichberechtigt, denn sie erhalten nur ein Aufenthaltsrecht, während ihnen die Bürgerrechte verwehrt bleiben. Das Aufenthaltsrecht für die Palästinenser wird jedoch auch als politisches Druckmittel eingesetzt, denn es kann entzogen werden, wenn man länger als sieben Jahre im Ausland lebt oder wenn man seinen Lebensmittelpunkt nicht in Jerusalem hat. Jeder Palästinenser, der nicht nachweisen kann, dass er wirklich in Jerusalem lebt, z. B. durch Vorlage von Strom-, Wasser- oder Lebensmittelrechnungen, läuft Gefahr, seine ID zu verlieren und muss dann die Stadt unverzüglich verlassen. Schon allein zu niedrige Rechnungsbeträge, z.B. für Strom, können dazu führen, dass die Rechnungen als Beleg nicht anerkannt werden und dass die ID dauerhaft entzogen wird. Generell gibt es kaum verbindliche Regeln, so dass es häufig zu willkürlichen Entscheidungen kommt.

Vom Scopusberg fahren wir weiter, um den Verlauf der Mauer um das Flüchtlingslager Shuafat zu sehen. Das Flüchtlingslager wurde durch den Bau der Mauer vom Jerusalemer Stadtgebiet abgetrennt und ist so zu einer Exklave geworden. Schon 1966 wurde das Lager vom jordanischen Königreich eingerichtet, um alle Flüchtlinge, die in Jerusalem lebten, zusammenzuführen. In der Folge kam es zu einer Verdichtung von sozialen Problemen, die sich u.a. in einer hohen Kriminalitätsrate und Drogenmissbrauch niederschlugen. Durch den Bau der Mauer ist dieser soziale Brennpunkt nun von der Stadt abgeschnitten und kann nur über zwei Checkpoints betreten werden. Dadurch ist es für das israelische Militär leicht, das Lager im Falle von Unruhen im Raum Jerusalem abzuriegeln.

 Jüdische Siedlungen

Außerhalb Jerusalems werden seit mehreren Jahren im angrenzenden besetzten Westjordanland ringförmig um Jerusalem herum neue jüdische Siedlungen gebaut. Wir fahren zu einem Gebiet, das als E-1 bezeichnet wird (siehe Karte). Von hier aus sieht man in der Ferne die Siedlung Ma’ale Adumin, in der ca. 35.000 Menschen leben. Auch diese Siedlung liegt weit hinter der grünen Linie im Westjordanland.

Hier erfahren wir von Sergio, dass sich die Bewohner von Ma’ale Adummin und anderen jüdischen Siedlungen eigene Zufahrtsstrassen von und nach Jerusalem wünschen, denn die bereits vorhandene Straße, die von Palästinensern und Israelis gemeinsam genutzt wird, empfinden die Siedler als ein zu hohes Sicherheitsrisiko. Deshalb beschloss die israelische Bauverwaltung den Bau einer neuen Straße, jedoch konnte der neue Verbindungsweg nicht fertiggestellt werden, weil die dafür zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel nicht ausgereicht haben. Wir fragen uns, wie hier jemals Frieden geschlossen werden kann, wenn  die jüdischen Siedler und die für sie eintretenden Politiker davon ausgehen, dass eine Lösung des Konfliktes nur durch strikte Trennung der Bevölkerungsgruppen zu erreichen ist.

Bebauung von E-1 (East-1)

Es gibt Pläne der Regierung, im Gebiet E-1 3.000 Wohneinheiten zu errichten. Damit soll die Siedlung Ma’ale Adummin eine Verbindung mit Jerusalem erhalten. Bisher haben die Amerikaner dies noch verhindern können, weil sie um die wichtige strategische Bedeutung dieses Gebietes wissen: Für die Palästinenser würde eine Bebauung auch dazu führen, dass eine Verbindung von palästinensischen Städten im Westjordanland, die nördlich von Jerusalem liegen mit Städten, die im Süden liegen, nicht mehr möglich wäre. Das ursprünglich für den Staat der Palästinenser vorgesehene Gebiet würde noch mehr als bisher zerstückelt. Für Israel ist dieses Gebiet auch deshalb wichtig, weil es den ungehinderten Zugang zum Jordantal erleichtert. Bei internationalen Friedensverhandlungen ist dieses Gebiet häufig Teil der Verhandlungsmasse, so dass Konzessionen bezüglich der Bebauungspläne gemacht werden können.

Bisher konnten die Israelis innerhalb des E1-Gebietes lediglich ein Polizeigebäude errichten, jedoch wurde dem Bau von weiteren militärischen Einrichtungen bisher nicht zugestimmt.

Abschließend spricht Sergio noch über die unterschiedlichen jüdischen Einwanderer, über ihre Herkunft sowie über ihre unterschiedliche Behandlung, die sie in Israel erfahren. Uns wird deutlich, wie viele soziale Probleme es in Israel gibt. Was Ma’ale Adumin betrifft, so bedeutet wohl für viele Siedler der Umzug in die neu gegründete Gemeinde einen sozialen Aufstieg, nicht zuletzt deshalb, weil hier die Wohnungen und der Lebensunterhalt vom Staat stark subventioniert werden.

Auch von Sergio hörten wir, das viele Palästinenser sehr enttäuscht und frustriert über die politische Lage sind, sie haben wenig Hoffnung, dass sich ihre Lebensbedingungen in naher Zukunft verbessern werden. Auch palästinensisch-israelischen Gemeinschaftsprojekten stehen viele nach dem Gaza-Krieg im Sommer 2014 skeptisch gegenüber, sie beklagen, dass es in Israel im Moment keine Friedensbewegung mehr gibt.

 Internetlinks

Zenithonline, lesenswerter Artikel über Jerusalem (Mai 2014)

 Studie zu E-1: sehr ausführliche, englischsprachige Darstellung aus israelischer Sicht, insbesondere zur strategischen Bedeutung.

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