Besuch in Bil’in

Gewaltfreier Widerstand gegen die Mauer

Am 23.10.2014 waren wir in Bil’in, wo seit 10 Jahren jeden Freitagnachmittag vielbeachtete, friedliche Proteste gegen die Mauer stattfinden. Mit Unterstützung  internationaler und israelischer Gruppen sowie eines israelischen Anwaltes konnte erreicht werden, dass die Mauer im Jahr 2011 näher an die hinter der Mauer liegende jüdische Siedlung versetzt wurde. Wir wurden in Bil’in von Abdallah Abu Rahma, einem international bekannten und von der EU ausgezeichneten Aktivisten, empfangen.

Geschichte des Widerstandes

Im Jahr 2004 haben die Proteste angefangen, als die ersten Vorbereitungen zum Bau der Sperranlage in Form einer Mauer getroffen wurden. Die geplante Sperranlage verläuft nicht auf der sogenannten grünen Linie von 1967 sondern geht weit in das Gebiet der Palästinenser hinein und dient damit nicht nur den Sicherheitsinteressen Israels sondern auch der illegalen Landnahme. Dadurch wurden große Gebiete palästinensischen Grundbesitzes enteignet und die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung weiter eingeschränkt.

Israelische Bulldozer hatten damals damit begonnen, die Olivenbäume auf dem Land der Palästinenser aus dem Boden zu reißen. Damit wurde ihnen ihre Existenzgrundlage entzogen, die Menschen waren verzweifelt und haben angefangen sich zu wehren. Viele mussten mit ansehen, dass ihr Land plötzlich für sie nicht mehr zugänglich war.

Seit 2005 finden jeden Freitag friedliche Proteste u. a. in Bil’in aber auch an vielen anderen Orten, die von dem Mauerbau betroffen sind, statt. Von Anfang an gab es viel Unterstützung von internationalen sowie israelischen Gruppen. Im Jahr 2007 konnte mit Hilfe von israelischen Anwälten, die die Proteste unterstützt haben, ein Gerichtsbeschluss erwirkt werden, der eine Versetzung der Mauer (näher an die jüdische Siedlung) vorsah. Erst 4 Jahre später, im Jahr 2011, wurde die Mauer tatsächlich versetzt. Dies war ein großer Erfolg, sodass Bil’in inzwischen ein Symbol für den gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besatzung ist.

Die Geschichte des Widerstands wird sehr anschaulich in zwei Filmen dargestellt:

  • Der Film  „5 broken cameras“ hält die Proteste im zeitlichen Verlauf von mehreren Jahren fest. In diesem Film hat ein palästinensischer Bewohner des Dorfes Bil’in mit Hilfe von insgesamt 5 Videocameras, die er geschenkt bekommen hat, die wöchentlichen Proteste über einen Zeitraum von mehreren Jahren dokumentiert.
  • Der Film „Bil’in my love“  ist von einem israelischen Reporter gedreht, der die Proteste gegen den Bau der Mauer viele Jahre begleitet hat.

Abdallah Abu Rahma

Abdallah Abu Rahma ist der „coordinator of the Bil’in Popular Committee Against the Wall and Settlements“. Zusammen mit der israelischen Organisation „Anarchisten gegen die Mauer“ hat er  2008 für seine Arbeit die Carl von Ossietzky Medaille, die jährlich in Berlin verliehen wird,  erhalten. Von der EU-Außenbeauftragten bekam er den Titel „human rights defender“ (Menschenrechtsverteidiger) verliehen. Israel hat das nicht davon abgehalten, ihn im Dezember 2009 für mehr als ein Jahr zu inhaftieren. Die Verhaftung fand in seinem Haus in Ramallah (Zone A) statt, nachdem er zwei Stunden vorher eine Rede per Email verschickt hatte. Die Rede wollte er anlässlich einer Einladung in Berlin halten.

Er hat uns erzählt, dass es gerade ein neues Urteil gegen ihn gibt, so dass er befürchtet, ab Dezember wieder für mehrere Monate ins Gefängnis zu müssen.

Ergänzung vom 28.12.2014:

Ergänzung vom 31.1.2015: Bis zum 5.2.2015 unterschreiben

https://twitter.com/belofb/status/561570542072115200

Abdallah hat mit uns einen Spaziergang zur Mauer gemacht und uns von den Protesten berichtet. Von den jahrelangen Protesten sahen wir an vielen Stellen leere Tränengaspatronen. Er betonte, wie wichtig für ihn die Gewaltfreiheit ist. Er sieht sich damit in der Tradition von anderen gewaltfreien Befreiungsbewegungen (Nelson Mandela in Südafrika und Mahatma Gandhi in Indien). Die Gewaltfreiheit ermöglicht es nicht nur wenigen Kämpfern sondern der ganzen Bevölkerung des Dorfes an den Protesten teilzunehmen. Er sprach auch über die Bedeutung von kreativen Formen des Widerstands, wie zum Beispiel das Anketten an Olivenbäume, um die Entfernung der Bäume zu verhindern. Nicht die Anzahl von Aktivisten sei entscheidend, sondern die Art des Widerstands.

Tote, Verletzte und Festnahmen bei den Protesten

Bei den Protesten gegen die Mauer gab es insgesamt sehr viele Verletzte und auch Tote. Trotz der angestrebten Gewaltfreiheit erklärten die israelischen Soldaten die Demonstrationen für illegal und versuchten mit Tränengas und Gummigeschossen die Demonstrationen aufzulösen. Es kam auch zu vielen Festnahmen und Inhaftierungen.

Im April 2009 wurde ein Bewohner von Bil’in, Bassem Ibrahim Abu-Rahma, getötet, nachdem ihn eine Tränengaskartusche an der Brust traf. In dem Film „5 broken cameras“ werden auch die Umstände seines Todes dargestellt. Wir haben die Gedenkstätte, die an den Getöteten erinnert, besucht. In die auf dem Bild abgebildeten schwarzen Tränengaspatronen, waren Blumen gepflanzt, die inzwischen vertrocknet sind.

Jüdische Siedlung

In Sichtweite vom Dorf wird eine große jüdische Siedlung (Modiin Illit) errichtet. Dort leben bereits 55 000 Personen auf palästinensischen Land, das früher landwirtschaftlich genutzt wurde. Der Bau der Siedlung ist illegal, es liegt keine Baugenehmigung vor. Unser Reiseleiter hatte auf früheren Reisen von Abdallah erfahren, dass er dort auch Land besitzt. Nach Fertigstellung der Wohnungen ist er in eine der noch nicht bezogenen Wohnung gegangen und hat seine Eigentumsanspruch geltend gemacht. Nach ein oder zwei Nächten in der Wohnung musste er die Wohnung verlassen.

Abdallah hat uns erzählt, dass es geplant sei, mit der Siedlung die viertgrößte Stadt Israels nach Tel Aviv, Jerusalem und Haifa zu errichten. Nach seinen Informationen sei eine Bevölkerungszahl von 350 000 geplant. Für die Israelis sind die steuerlich subventionierten Wohnungen finanziell sehr interessant, weil die Lebenshaltungskosten in Tel Aviv oder Jerusalem sehr hoch sind. Diese Siedlung ist nur 30 km von Tel Aviv entfernt, so dass viele Berufstätige von hier aus täglich nach Tel Aviv pendeln.

Auswirkungen des Mauerbaus in Bil’in auf die palästinensische Bevölkerung

Die Auswirkungen der Mauer und der entsprechenden Checkpoints sind so gravierend für alle Palästinenser in den besetzten Gebieten, dass davon alle Lebensbereiche betroffen sind. Dazu erhalten wir bei anderen Besuchen noch viele Informationen. Offensichtliche Auswirkungen sind in Bil’in der Verlust von Land und damit der Existenzgrundlage, sowie der erschwerte Zugang zum eigenen Land. Die auf den Bildern sich jenseits der Mauer befindlichen Olivenbäume gehören Bauern aus Bil’in. Sie können ihr Land nur zur Erntezeit  für 2 -3 Tage betreten und müssen dafür einen Monat vorher eine Erlaubnis beantragen. Die bewilligte Zeit reicht für die Ernte nicht aus. Statt der benötigten 11 Stunden am Tag dürfen sie nur 4 Stunden arbeiten und müssen ihr Land dann wieder verlassen.

Man sieht auf dem linken Bild, wie sich die Israelis bemühen, die Mauer für ihre eigene Bevölkerung möglichst schön aussehen zu lassen bzw. so zu gestalten, dass ihre Existenz weniger sichtbar ist. Abdallah erzählt uns, dass die Mauer manchmal zur Verschönerung mit Blumen verziert wird.

Reaktion der israelischen Besatzungsmacht auf Besucher

Wir hatten Glück, dass wir bei unserem Besuch in Bil’in zwar die Mauer aber keine israelischen Soldaten gesehen haben. Vor allem, dass es uns nicht so ergangen ist wie dieser Gruppe Afroamerikanern, die sich plötzlich in Tränengasschwaden befanden, obwohl sie, genauso wie wir, nur einen Spaziergang gemacht haben.

From Berlin to Bel’in the wall shall fall

Die Aktivisten vor Ort sind auch international sehr gut vernetzt. Am 9. November 2009 zum 20-jährigen Jubiläum des Falls der Berliner Mauer gab es auch in Bil’in Aktionen, die eine sehr hohe Medienaufmerksamkeit erreichten. Es entstand der Slogan „from Berlin to Bel’in the wall shall fall“. Hier seht ihr das letzte Hemd, dass wir von Abdallah bekommen haben.

From Berlin to

9. November 2014, 25 Jahre Fall der Mauer in Berlin

Originalton unserer Bundeskanzlerin zum Jubiläum des Mauerfalls in Berlin vor 200.000 jubelnden Menschen:

Wir können die Dinge zum Guten wenden. Das ist die Botschaft des Mauerfalls. Sie richtet sich besonders an alle Menschen in Krisengebieten. Es ist eine Botschaft der Zuversicht, heute und künftig, weitere Mauern einreißen zu können. Mauern der Diktatur, der Gewalt, der Ideologien, der Feinschaft.

Schade, dass Frau Merkel die unbedingte und unkritische Solidarität zu Israel zur Staatsräson erklärt hat, und so dazu beiträgt, dass die Freiheit in diesem Teil der Welt den Menschen noch  länger vorenthalten werden wird.

Filme zu Bil’in

Bil’in-my love:

Weitere Informationen zu Bil’in bzw. der Mauer im Internet:

Kommentar von Abdallah Abu Rahma in der Ha’aretz vom 26.02.2015

Offener Brief des Vereins „Jüdische Stimme e.V.“ an die Bundesregierung wegen der anstehenden Verurteilung von Abdallah Abu Rahma vom 29.1.2015.

TED Talk (englisch) zu gewaltfreiem Widerstand gegen die Mauer
Interview mit Abdallah Abu Rahma
Besuch von Abdallah Abu Rahma in Berlin
Wikipedia Artikel zu Bil’in

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