Der Süden Palästinas: Festung Masada und Qumran-Höhlen

von Andre Lundt

Heute, am 30. Oktober 2014, finden wir beim Frühstück die Situation deutlich verändert vor. Der größte Teil der Reisegruppe hat schon sehr früh die Rückreise antreten müssen, denn das Flugzeug ab Tel Aviv startet bereits um 10 Uhr. So bleiben denn nur drei Paare zurück, die sich – Bettina ausgenommen – an diesem Tag in einem gecharterten Kleinbus nach Süden aufmachen, um sich noch einige touristische Highlights anzusehen, die in unserem Programm nicht enthalten waren.
Unser palästinensischer Busfahrer trifft pünktlich vor dem Hotel ein und bringt uns zügig auf die große Zufahrtsstraße zum Toten Meer, die wir schon einige Tage vorher auf unserer Tour ins Jordantal entlanggefahren sind. Wieder passieren wir die deutlich markierte Sea level-line, von der aus wir in die fast 400 unter dem Meeresspiegel gelegene Jordan-Depression hinunterfahren. Die breite Teerstraße in den Süden ist hervorragend ausgebaut, und so haben wir unsere erste Station, den berühmten Tafelberg von Masada, schon bald erreicht.


Zwei Wege führen hinauf zum Hochplateau, ein steilerer von Westen in der Nähe der römischen Rampe, ein etwas weniger schweißtreibender Pfad im Südosten als Alternative zum Aufstieg mit der deutlich bequemeren, aber auch teureren Seilbahn. Da uns unser Fahrer uns nur zwei Stunden für den Masadabesuch gönnt, wählen wir wie die meisten Besucher die Seilbahn und genießen während der Fahrt zur Bergstation den außergewöhnlich reizvollen Blick in die Meerebene und das weitere Jordantal.

 

Allein die phantastische Formation des Bergsolitärs in der Naqab (Negev) hätte gereicht, um diesen Ort zur Sehenswürdigkeit zu erklären, aber dennoch ist es vor allem die dramatische Geschichte, die den Ort zu einer Art Wallfahrtsstätte hat werden lassen.

 Die Geschichte des Tafelbergs

Das im alten Judäa gelegene Masada gehörte in den Jahren 141 bis 63 v.Chr. zum Herrschaftsbereich der makkabäischen Juden, die dann jedoch den eindringenden römischen Legionen unter Pompeius weichen mussten. Die Römer versahen Masada zunächst mit einfachen Wehrbauten, doch als in den Jahren 40 bis 30 v. Chr. Herodes der Große den Tafelberg als Nebenresidenz erwählte, ließ er ihn zu einer mächtigen Festung ausbauen. Das gesamte Plateau wurde im Zuge dieser Bauphase von Kasemattenmauern und 40 Wehrtürmen umgeben. Die darin errichtete Burgsiedlung enthielt neben dem Herrschaftspalast und aufwändig in den Fels geschlagenen Präsentationsbauten zahlreiche Wohn- und Lagerhäuser, dazu eine Kommandantur, Badehäuser, 12 große Zisternen und sogar Schwimmbecken. Die Fundamente und teilweise rekonstruierten Mauern der Residenz können – neben Resten von Wirtschaftsgebäuden – noch heute bei einem Rundgang über das 300 mal 600 m Gipfelplateau abgegangen werden.

Im unteren Teil des abgebildeten Lageplans ist mittig der Westpalast eingezeichnet (18-20), links erkennt man den reicheren Nordpalast (32-34) und ganz außen die kleinere Sommerresidenz in Hanglage (37-39).

 

66 n. Chr. gelang es jedoch dem jüdischen Stamm der Sikarier nach einem Aufstand gegen die römischen Besatzer, die Festung Masada trotz der starken Verteidigungsanlagen einzunehmen und sich auf dem Hochplateau anzusiedeln. Zu den Sikariern stieß schließlich noch ein größerer Zug jüdischer Flüchtlinge, die sich ebenfalls – nach der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels durch Titus im Jahr 70 n. Chr. – gegen die Römer in der heiligen Stadt erhoben hatten.
Derartige Gegenwehr nahm die römische Besatzung allerdings nicht hin, und so entsandte der römische Kaiser 73/74 n. Chr. ein 4.000 Mann starkes Heer unter Führung von Flavius Silva nach Masada, um die Festung zurückzugewinnen.

Der historische Massenmord von Masada

Die Belagerung des Tafelberges durch die römische Armee zog sich über mehrere Monate hin, denn die jüdischen Verteidiger zehrten lange von den eingelagerten Vorräten und den Wasserreserven der großen herodischen Zisternen. Nachdem die Angreifer jedoch eine große Rampe im Westen des Berges errichtet und schweres Belagerungsgerät vor der Stadtmauer in Stellung gebracht hatten, sahen sich die jüdischen Verteidiger zur Aufgabe gezwungen. Statt sich jedoch den Römern zu ergeben, entschlossen sie sich unter Führung von Eleazar Ben-Ya’ir zu einer Verzweiflungstat: Bis auf eine sehr kleine Zahl von Belagerten, die sich in der Siedlung versteckten, begingen alle anderen Juden beim Sturm auf die Stadt Selbstmord und entzogen sich damit der Gefangenschaft.

Mythos und Verklärung

Es lag nahe, dieses außergewöhnliche Ereignis zu einem heroischen Mythos zu formen, der bis heute gepflegt, aber auch aus Interesse am Erhalt israelisch-jüdischer Verteidigungsbereitschaft verklärt und funktionalisiert wird. Die Geschichte von Masada ist somit auch gegenwärtig ein wesentlicher Bestandteil des jüdischen Narrativs, in dessen Zentrum die andauernde Verfolgung und Opferbereitschaft, aber auch das Recht und die Notwendigkeit zur massiven Selbstverteidigung des jüdischen Volkes steht. Hier die Grenzen einer ideologischen Aneignung und Ausdeutung geschichtlicher Vorgänge zu erkennen und zu bewerten, muss uns schwerfallen. Im Wikipedia-Eintrag zu Masada wird dieser Aspekt immerhin in einem kurzen Absatz reflektiert:

„Der Mythos von Masada wurde ein wichtiger Bestandteil der zionistischen Idee. Während des Zweiten Weltkriegs sollte der Berg Karmel als „zweites Masada“ dienen.[3] Seit 1948 wurde die Festung von Mitgliedern der zionistischen Jugendbewegung und der Streitkräfte als nationales Symbol aufgesucht.

Die Vorgänge um die Festung Masada haben einen erheblichen Einfluss auf das Selbstverständnis der israelischen Streitkräfte. Die jährlichen Abschlussmanöver der militärischen Grundausbildung endeten zwischen 1965 und 1991 nach zwei Tagen Dauer auf der Festung. Im Schwur der Soldaten wurde die Festung zu einem Symbol des jüdischen Selbstbehauptungswillens: „Masada darf nie wieder fallen“. Inzwischen findet das militärische Zeremoniell nicht mehr statt, da der Vergleich mit den fanatischen Sikariern gescheut wird…“

Nach Abschluss der etwas gedrängten Besichtigungstour nutzt unsere kleine Gruppe noch einmal die Gelegenheit, einen Blick von der Höhe des Tafelberges in die Umgebung auf die Wüste Negev und das Tote Meer zu werfen; danach lassen wir im Besucherbüro unseren Fahrer am vorgelagerten Parkplatz anrufen und setzen die Tagesreise zur Meeresküste fort.

 

Die Höhlen von Qumran

In den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts führte die Entdeckung neuer Höhlen und Pergamentrollen in Qumran und die Entschlüsselung der ältesten bisher aufgefundenen Bibeltexte zu einem regelrechten Medien-Hype. Auch heute noch sind die berühmten, nordwestlich des Toten Meer gelegenen Höhlen ein intensiv besuchtes Touristenziel – was nicht zuletzt die zahlreichen Reisebusse auf dem Parkplatz beweisen.

Um es vorwegzunehmen: Fraglos sind die an diesem Ort und in der weiteren Umgebung gemachten Funde von Tonkrügen und den darin versteckten Pergamentrollen unterschiedlicher Urheber eine Sensation für Archäologen, Religionswissenschaftler und Frühgeschichtsforscher. Dem uneingeweihten Laien jedoch erschließt sich vor Ort wenig von den Geheimnissen und Werten der frühen Bibeltexte. Ein modernes Besucherzentrum mit museumsdidaktisch aufgearbeiteten Tafeln und Erläuterungen hätte hier Abhilfe schaffen können, aber nichts dergleichen ist im Empfangsgebäude zu finden. Statt dessen ein Angebot von Schnellführungen durch einige hundert Jahre Religionsgeschichte sowie ein Einführungsfilm, der uns Einzelheiten über das Leben der hier wohnenden jüdischen Stämme und „Sekten“-Angehörigen vermitteln möchte. Genau so gut hätte man einen Ausschnitt aus einem der früheren Hollywoodfilme über die „Helden“ des Alten und Neuen Testaments vorführen können. Mit anderen Worten: nichts als Kitsch, Pathos und riskante Spekulationen, deren Wahrheitsgehalt schon bald danach durch Hinweise und Warnungen im Reiseführer in Zweifel gezogen wird.

Zur Historie Qumrans

Auf Qumran und seine sensationellen Schätze wurde man erst 1947 aufmerksam, als ein beduinischer Hirtenjunge per Zufall in einer der Höhlen der umgebenden Mergelhügel auf uralte Tonkrüge und zerfallende Pergamentfragmente stieß. Nachdem sich die Entdeckungen viele Monate später auch bei den Experten herumgesprochen hatten, begann seit den frühen 50er Jahren die schrittweise Erforschung der Fundstücke, die sich schnell als biblische Schriften erwiesen – verfasst in hebräischer, aramäischer und griechischer Sprache.

Bis 1958 konnten bereits 11 Höhlen durchsucht und die darin lagernden Rollen gesichert werden. Erhebliche Schwierigkeiten bereiteten dabei die sehr unüblichen Bergungs- und Handelsmethoden, denn die in Höhlennähe wohnenden Beduinen hatten der Wert der Fundstücke bald erkannt und boten sie meistbietend nicht immer seriösen Mittelsmännern an. In diesem Zusammenhang ist Folgendes bekundet: Um die Papierfragmente mit möglichst großem Profit weiterzuverkaufen, verfielen die „Höhlensucher“ auf die Idee, die Pergamentstücke in kleinste Fetzen zu zerreißen, von denen dann jeder für umgerechnet 30 € verkauft wurde. Gewusst wie!
Insgesamt wurden in den ersten Jahrzehnten 15.000 Fragmente von etwa 850 Rollen aus dem antiken Judentum geborgen. Sie wurden von mindestens 500 verschiedenen Schreibern zwischen 250 v. Chr. und 40 n. Chr. beschriftet, weshalb die Texte ganz unterschiedliche Bibelausschnitte in mehreren Sprache oder Dialekten wiedergeben. Als Schreibmaterial wurde dabei neben Pergament auch Papyrus und Leder verwendet.

Heute ist die Zahl der gefundenen Rollen auf ca. 1250 angewachsen; sie werden unter dem Sammelbegriff der „Schriften vom Toten Meer“ zusammengefasst, wobei ca. 300 der Rollen Abschriften alttestamentlicher Bücher sind.

Siedlung und Kloster der „Essener“

Während die heutigen Besucher – mit wenigen Ausnahmen – zu den verschiedenen Höhlengebieten keinen Zugang mehr haben (was sich wahrscheinlich unguten Erfahrungen mit eigenmächtigen „Nachforschungen“ verdankt),  kann man die in Ufernähe des Toten Meers gelegene Wohnstätte früher jüdischer Siedler aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert zu Fuß durchstreifen.
Auf dem Weg durch die Mauerreste lassen sich einige Details und Baufunktionen noch gut erkennen: So die verschiedenen Wohnhäuser, eine Versammlungsstätte sowie verschiedene Zisternen und Wasserbecken (Tauchbecken) für rituelle Bäder der jüdischen Glaubensgemeinde. Bei dieser soll es sich nach Ansicht des ersten Grabungsleiters Roland Vaux um die Essener, eine sektenartige jüdische Religionsgruppierung gehandelt haben, die hier das Endgericht Gottes erwarteten.  Sie sollen bis 70 n.Chr.  ähnlich wie heutige Mönchen in einer klösterlichen Bruderschaft gelebt haben; den Anhängern dieser Auffassung zufolge pflegten die Essener den Zölibat und verzichteten auf Handel und weltlichen Reichtum.

Zwar hat sich die israelische Altertümerverwaltung dieses Erklärungsmodell ebenfalls zu eigen gemacht (wie auch der Intro-Film im Besucherpavillon belegt), doch sind seit geraumer Zeit starke Zweifel an dieser Hypothese aufgekommen.
Funde von Münzen, Waffen und Frauengräber widerlegen die Annahme, hier hätte sich eine zölibatäre, pazifistische und dem Geld abholde religiöse Urgemeinde zurückgezogen und allein für ihren Glauben gelebt. Stattdessen wird vermutet, ein stärker weltlich orientierter Nebenzweig der Essener könnte sich hier aufgehalten haben oder auch Vertreter anderer jüdischer Stämme. Nun gut – wir müssen das nicht entscheiden….

Nach Ablauf der uns gewährten Besichtigungszeit finden wir uns erneut am Bus ein, der uns nun von Qumran aus zügig nach Jerusalem zurückbringt.

Und weil alle Beteiligten an diesem Tag so gut miteinander ausgekommen sind, treffen wir uns noch einmal zum Abschiedsessen in einem schön eingerichteten Restaurant in der Nähe unseres Hotels. Wie immer gibt es von allem reichlich und so kehren wir am späten Abend gut gesättigt in unsere Herberge zurück.
Am nächsten Tag werden sich dann unsere Wege trennen.

 

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