Zu Gast in einer palästinensischen Familie

Vom 25. bis 27.10.2014 waren wir im Rahmen unserer Reise bei einer palästinensischen, christlichen Familie in Beit Sahour zu Gast und haben mit der Familie gemeinsam gegessen und den Abend verbracht. Die Übernachtungen wurden von der ATG, der alternative tourism group, organisiert. Die ATG engagiert sich dafür, dass ausländische Besucher der biblischen Orte wie Bethlehem, auch die Gelegenheit haben, palästinensische Familien kennenzulernen, um beim gemeinsamen Abendessen im persönlichen Gespräch einen Eindruck von den Lebensbedingungen zu bekommen. Durch die Übernachtungen und die Verpflegung haben die Familien auch ein zusätzliches Einkommen.

Unsere Familie bewohnt als Großfamilie ein geräumiges Mehrfamilienhaus. Wir wurden sehr freundlich begrüßt und sofort in das Familienleben integriert indem wir gemeinsam das Fußballspiel Barcelona gegen Madrid im Fernsehen gesehen haben. Währenddessen haben sich erste Gespräche entwickelt. Wir waren überrascht dort auch einen weiteren deutschsprachigen Besucher kennenzulernen. Der junge Mann machte einen Freiwilligendienst und wurde vom „Bibelwerk“, einer christlichen Organisation in Berlin, entsendet. Er bewohnte in dem Haus der Familie ein Zimmer und bewegte sich zwischen den einzelnen Wohnungen im Haus wie ein Familienmitglied.

Wichtigstes Thema war die derzeit laufende Olivenernte. Der Freiwillige arbeitet in der gleichen christlichen Schule, in der auch die Mutter unserer Gastfamilie als Lehrerin tätig ist. Die Schule hat das Ernterecht für etwa 350 Bäume am Ölberg in Jerusalem. Seit einigen Tagen hatte die Olivenernte begonnen und der Freiwillige litt etwas unter der anstrengenden Arbeit, insbesondere weil es zu wenige Helfer für die Ernte gab. Einige der Helfer hatten keine Erlaubnis erhalten nach Jerusalem einzureisen. Für die Reise in das in Sichtweite von Bethlehem liegende Jerusalem, wie auch für alle anderen Gebiete in Israel, benötigen die Palästinenser eine Einreiseerlaubnis. Für die meisten Palästinenser ist es gar nicht möglich, diese zu bekommen, andere erhalten sie nur für eine kurze tägliche Zeitspanne. Dadurch ist die Schule bei der Olivenernte auf ausländische Hilfskräfte angewiesen, einfach weil die Einheimischen kein Recht haben, sich in ihrem eigenen Land frei zu bewegen.

Unsere Gastfamilie hat 4 Kinder, einen Sohn und drei Töchter. Die älteste Tochter studiert in Frankreich und wird von ihrer Mutter schmerzlich vermisst. Auch Nichten und Neffen leben in dem großen Haus, eine der Nichten war schon jeweils 1 Jahr in USA/Canada, in der Türkei und in Süd-Korea. Sie sprach sehr gut Englisch und studiert Business Administration. Eine gute Ausbildung, gute Sprachkenntnisse und Auslandserfahrung wird auch hier als ein Weg gesehen, später ein besseres Leben zu führen. Das wird für viele auch heißen, das Land und damit die schwierigen Lebensbedingungen zu verlassen sobald sie dazu die Möglichkeit haben.

Die Familie hat einige eigene Olivenbäume auf ihrem Grundstück. Auch diese Oliven wurden in den letzten Tagen geerntet und mussten jetzt in mühsamer Handarbeit von Blättern, Ästen usw. befreit werden. Einige spezielle Oliven werden auch aussortiert. Die gesamte Ernte befand sich auf einer im Keller ausgelegten Plane. Dort sind der Bruder unseres Gastvaters, Nabil, und seine Mutter Emilie mit der anstrengenden Sortierarbeit beschäftigt. Als die beiden später noch zum Abendessen kommen, ergeben sich interessante Gespräche. Beide haben viel von ihrem beschwerlichen Alltag zu erzählen.

Die Mutter stammt aus einer alten Familie, deren Vorfahren aus Aleppo nach Palästina kamen. Ihr Vater war früher Bürgermeister der Stadt Bethlehem gewesen. Sie waren eine große Familie mit vielen Kindern. Heute lebt von ihren Geschwistern niemand mehr in Palästina. Ihr Elternhaus, in dem sie auch geboren wurde, liegt in unmittelbarer Nähe der berühmten Geburtskirche in Bethlehem. Heute betreibt Nabil dort ein Hotel, das „Dar sitta aziza“. Vier Jahre hat er an der Renovierung des Hauses gearbeitet, seit  April 2014 ist das Hotel geöffnet.

Emilie erzählt uns noch die traurige Geschichte einer ihrer Töchter. Die Tochter ist vor langer Zeit als junges Mädchen in den Libanon gereist. Die Tochter hatte Pech und hat dort ihre Reisedokumente verloren, seitdem kann sie nicht mehr zurückkehren. Jahrelang hat die Mutter versucht, bei den Behörden die notwendigen Papiere zu bekommen, aber alle ihre Bemühungen waren vergeblich. So hat ihre Tochter, die jetzt als Anwältin im Libanon lebt, keine Möglichkeit mehr ihre Familie zu besuchen. Ihre Nichten und Neffen hat sie noch nie kennenlernen können.

Aber auch die Reisemöglichkeiten der übrigen Familie sind stark eingeschränkt. Über Jordanien ins Ausland zu kommen ist zwar aufwändig und teuer, aber möglich. Nicht möglich ist es dagegen, in das in Sichtweite liegende Jerusalem zu gelangen. Die Anträge für die dafür benötigten Genehmigungen wurden immer wieder abgelehnt. Gleiches gilt für jeden anderen Ort in Israel. So kann man von vielen Orten in Palästina zwar die Hochhäuser von Tel Aviv und das Mittelmeer sehen, eine Möglichkeit jemals dorthin zu kommen haben aber nur die allerwenigsten.

Emilie und Nabil berichten uns von weiteren täglichen Schikanen: Nabil, der jetzt das Hotel betreibt, hat Medizin studiert und lange als Arzt im Krankenhaus gearbeitet. Das Studium, welches üblicherweise 2 Jahre dauert, hat für ihn 7 Jahre gedauert weil er an ca. 3 Tagen in der Woche zur Universität  nach Bir Zeit fahren musste. Häufig ist er dort wegen der vielen Checkpoints gar nicht angekommen. Er hat Vorlesungen und Prüfungen verpasst und musste diese später wiederholen. Grundsätzlich sind, und das hören wir von allen Familienmitgliedern, zeitliche Abläufe nicht planbar, weil es zu ständigen Schikanen auf den Wegen kommt. Ein normales Leben wie wir es kennen ist unter diesen Umständen nicht möglich.

Von der Mutter unserer Gastfamilie hören wir von nächtlichen, angsteinflößenden Einsätzen des israelischen Militärs auf dem Grundstück der Familie. Die Soldaten fuhren mitten in der Nacht mit mehreren Fahrzeugen vor, sie schreckten zunächst die Nachbarn auf und riefen laut: „Wo wohnt…?“, dann kamen sie in den Hof und riefen „Wohnt hier….?“, dann lautes Klopfen und Rufen. Durch diese Maßnahmen verbreiten sie Panik, die Kinder haben Angst und schreien und auch für die Erwachsenen stellt diese Situation eine große Belastung dar. Es stellte sich heraus, dass es nur um die Zustellung eines Dokumentes ging, das man auch per Email hätte schicken können.

Die Familie vermutet, dass es das Ziel ist, ständig Stress zu erzeugen, das Leben schwierig und teuer machen etc. mit dem Ziel, dass die Leute das Land verlassen. Es ist den Familienmitgliedern zum Beispiel nicht möglich, den Flughafen in Tel Aviv zu benutzen, wenn sie ins Ausland reisen wollen. Stattdessen müssen sie von Jordanien aus fliegen. Von dort sind die Flüge sehr viel teurer, zusätzlich muss eine Übernachtung eingeplant werden um sicher zu gehen, rechtzeitig am Flughafen anzukommen. Im Sommer kann die Reise in kleinen Bussen zur Strapaze werden wenn das Fahrzeug ohne Grund für mehrere Stunden an einem Checkpoint angehalten wird. Das kann man sich gut ausmalen, im heißen Jordantal für mehrere Stunden in der Sonne zu stehen, den Bus nicht verlassen zu können, die weinenden Kinder beruhigen zu müssen, nicht zu wissen, wann es weitergeht, in Sorgen zu sein, ob man sein Ziel, z.B. den Flughafen noch rechtzeitig erreicht.

Die Familienmitglieder unserer Gastfamilie sind sehr verbittert über die Situation und sehen wie viele andere Palästinenser, mit denen wir im Laufe unserer Reise gesprochen haben, wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation. Insbesondere der Bau der Mauer hat viele Dinge noch verschlimmert. Für sie hat der Bau der Mauer unter vielen anderen hauptsächlich 3 Gründe:

  1. Da die Mauer nicht auf der grünen Linie (der Grenze zu Israel vor 1967) steht, sondern weit in das Land der Palästinenser hinein geht, dient sie der illegalen Landnahme.
  2. Auf dem durch die Mauer abgetrennten Land können neue Siedlungen gebaut werden, so wie wir das in Bi’lin gesehen haben.
  3. Durch den Bau der Mauer sind Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern sehr viel schwieriger geworden. Früher haben auch viele israelische Aktivisten den palästinensischen Kampf gegen die Besatzung unterstützt und an gemeinsamen Protestaktionen teilgenommen. Das ist heute kaum noch möglich, weil Palästinenser nicht nach Israel reisen dürfen, und Israelis die sog. A-Zonen des Westjordanlandes nicht betreten dürfen. Ein gemeinsames Treffen ist nur in den C-Zonen möglich.

Nach dem offiziellen Ende unserer Reise sind wir noch einmal nach Bethlehem gefahren, um eine Nacht in dem Hotel von Nabil zu übernachten. Es war schön, Nabil und seine Mutter Emilie noch einmal wiederzusehen. Wir wurden sehr herzlich empfangen und sind abends zum Essen in ein sehr typisches palästinensisches Lokal eingeladen worden, obwohl Emilie lieber selber gekocht hätte. Am nächsten Morgen haben wir ein unglaublich reichhaltiges Frühstück mit Familienanschluss genossen.

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